AUF DEM NOTFALL DES KANTONSSPITALS OLTEN

Eine gewöhnliche Samstagnacht

Bluthochdruck, Lungenembolie, Alkoholvergiftung, Harnverhalt und einige isolierte Patientinnen und Patienten mit Covid.
Die Arbeit auf einer Notfallstation in der Nacht ist anspruchsvoll – nicht nur wegen alkoholisierter Patienten.

Samstagabend

Ende August 2021, Notfallstation Kantonsspital Olten. Sämtliche Betten der Intensivstation in Olten sind belegt – mehrheitlich mit Covid-Patientinnen und -Patienten. Das macht das Personal ein wenig nervös. Käme heute Nacht ein Notfall, der eine intensivmedizinische Behandlung brauchte, müsste noch in der Nacht eine Verlegung in ein anderes Spital organisiert werden. Keine einfache Sache, die Intensivstationen sind überall gut gefüllt.

22.30 Uhr

Die Nachtschicht erscheint. Drei Pflegefachfrauen mit Zusatzausbildungen in Anästhesie- oder Notfallpflege, zwei Dienstärzte, welche ihre Kollegen des Spätdienstes ablösen und Dr. med. Susanne Ernst, Leitende Ärztin der Notfallstation. Im Dienstzimmer verteilt sie die Aufgaben: «Koje 4 kann nach Hause, wer macht den Austritt? Koje 2 und Koje 3 sind zu vergeben, wer macht was?» Die beiden Dienstärzte Dr. med. Pascal Braun-Meyre und Christian Jäggi verschaffen sich auf dem elektronischen Whiteboard einen Überblick, sprechen sich ab mit Corinne Wey, Schichtleiterin Pflege, und machen die Runde bei «ihren» Patientinnen und Patienten.

23 Uhr

Acht von neun Kojen, so heissen die Zimmer der Notfallstationen, sind belegt. Zwei Patienten sind Covid-positiv, beide nach Vorschrift isoliert. Patienten in Isolation generieren einen hohen Aufwand, da bei jedem Kontakt die Schutzkleidung an- und ausgezogen werden muss. In Koje 5 liegt eine 40-jährige Patientin mit Bluthochdruck und Kopfschmerzen, nebenan ein Patient mit vermuteter Leberzirrhose und Wasser im Bauch. Dem Patienten geht es schlecht, er soll auf die Überwachungsstation verlegt werden. Vieles weist bei ihm auf eine langjährige Alkoholproblematik hin, die aber verneint wird. Das Thema ist schambehaftet.

In der Koje 8 liegt ein älterer Herr, der zu Hause stürzte und von seiner Frau ins Spital gebracht wurde. Er hat sich glücklicherweise nicht verletzt, werde aber zunehmend dement, wie seine Frau erzählt. Sie erzählt auch, dass sie die Betreuung zu Hause nicht mehr alleine bewältigen könne. Der Patient wird auf der Abteilung für Altersmedizin aufgenommen. Ein weiterer Patient erscheint mit Harnverhalt – hier wird zu später Stunde der Facharzt für Urologie aufgeboten werden müssen – eine andere Patientin kommt mit Verdacht auf Blasenentzündung ins Spital.

Alles in allem ist es ruhig. Wer auf einer Notfallstation arbeitet, muss sich jeweils rasch auf neue Situationen einstellen können. «Medizinisch gesehen brauchen wir ein enorm breites Wissen. Unsere Herausforderung liegt darin, rasch die richtige Diagnose stellen zu können», meint die Leitende Ärztin Susanne Ernst.

Patienten bleiben im Schnitt zwei bis drei Stunden auf dem Notfall. Etwa 12 bis 14 Notfälle gibt es in einer normalen Nachtschicht, manchmal sind es auch 20.

24 Uhr

Plötzlich ist wieder Bewegung in den Gängen, der Rettungsdienst bringt einen jungen Mann mit Schmerzen an der Schulter, er wird in den Schockraum verlegt und sofort untersucht. Nach einer Computertomografie (CT) ist klar: Schlüsselbeinbruch.

Im Stützpunkt, so wird das Zimmer der Pflege genannt, kommen alle Informationen zusammen. Corinne Wey, diplomierte Expertin Notfallpflege, hat die Schichtleitung im Griff, koordiniert die internen und externen Stellen, ist mal am Telefon, mal spricht sie sich mit den Ärzten ab, mal scherzt sie mit den Kolleginnen oder ordert via Rohrpost ein Medikament an, das nicht vorrätig war.

1 Uhr

Der Blutdruck bei der Patientin in Koje 5 ist endlich runter gegangen, sie kann nach Hause. Auch der Patient mit dem Gerstenkorn am Auge geht wieder.

1.19 Uhr

Das Laborgerät summt, es wird sehr ruhig. «Und? Viel zu tun?» Beat Marti vom Sicherheitsdienst schaut vorbei. «Im Moment nicht. Und du?» «Wenn es bei euch auf dem Notfall ruhig ist, ist es bei mir auch ruhig», meint Beat Marti. Man trinkt zusammen einen Kaffee, redet über Covid und anderes.

2.18 Uhr

Ein junger Mann, 24 Jahre alt, wird vom Rettungsdienst gebracht. Mischintoxikation, eine Alkoholvergiftung kombiniert mit Cannabis. Gerade nachts und an Wochenenden sind Alkohol-Patienten häufiger. «Vorallem um den Zahltag rum», fügt Pflegerin Biljana Jurisic an. Der junge Mann ist knapp  ansprechbar, ihm ist übel, er erhält über eine Infusion Flüssigkeit, man wird ihn bis zum nächsten Morgen überwachen und dann nach Hause schicken. Den Einsatz des Rettungsdienstes wird er selber bezahlen müssen. Alkoholvergiftung gilt weder als Krankheit noch als Unfall. Regula Breitenstein, die vorne im Eingangsbereich die administrative Patientenaufnahme macht, bringt Klebeetiketten mit dem Barcode vorbei.

2.25 Uhr

Eine Frau und ihr Mann erscheinen, sie hat seit zwei Wochen eine Rippenquetschung, wurde bei einem Hustenanfall kurz ohnmächtig. Dienstarzt Christian Jäggi erklärt, dass durch den heftigen Schmerz durchaus eine sogenannte Synkope ausgelöst werden könne, eine kurze Ohnmacht. Die Patientin wird nacheiner gründlichen Untersuchung nach Hause gehen können, mit wirksameren Schmerzmitteln.

2.30 Uhr

Zwei Kojen sind besetzt. Die Pflegefachpersonen trinken einen Kaffee, es bleibt Zeit für einen Austausch mit den Dienstärzten. Nachtarbeit verbindet, schweisst zusammen, die Hierarchien sind flach. Nachtarbeit belastet aber auch. «Die erste Nacht einer Woche Nachtdienst ist immer die Schlimmste», meint Dienstarzt Pascal Braun. «Am Tag schlafe ich selten sehr gut», sagt Corinne Wey. «Es bleibt ein Arbeiten gegen den eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus», sagt die Chefin Susanne Ernst. Nachtarbeit geht an der eigenen Gesundheit nicht spurlos vorbei.

3.02 Uhr

In Koje 7 erzählt ein 68-jähriger Patient von seinen Schmerzen an der Flanke. Er habe eine fröhliche Runde etwas früher verlassen müssen, ohne den Grund zu nennen, er wollte ja niemandem die Stimmung verderben. Zu Hause habe er die Schmerzen fast nicht mehr ausgehalten. Statt eines anfänglich vermuteten Nierensteins wird man bei ihm eine Lungenembolie feststellen, ein Blutgerinnsel, welches eines oder mehrere Lungengefässe verstopft. Gut, hat er den Notfall aufgesucht.

4.30 Uhr

Es ist wieder ruhig geworden.

5.10 Uhr

Plötzlich gehts rund. Ein Patient, anfangs dreissig, wird von Rettungssanitätern in den Schockraum gebracht, eine Überdosis GBL, in der Szene auch Liquid Ecstasy oder KO-Tropfen genannt. Zu Hause sei er ausgerastet, schrie rum, stiess sich häufig den Kopf an, musste von den Rettungssanitätern mit Medikamenten sediert werden. Als er morgens um 7 Uhr im Schockraum wieder aufwacht, dasselbe Spiel von vorne. Sechs Personen müssen ihn
festhalten, damit ihm ein Dormikum verabreicht werden kann. Er wird das Personal bis 8 Uhr auf Trab halten.

7 Uhr

Nebenan ein Patient mit unklaren Bauchschmerzen, einer mit ausgerenkter Schulter, eine Patientin mit hohem Fieber und eine Patientin mit Lungenkrankheit und schlechtem Allgemeinzustand. Die Tagesschicht ist eingetroffen. Der Sonntagmorgen beginnt.


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