SCHWANGERSCHAFT UND GEBURT
Es ist viel mehr Aufklärung gefragt
Es gibt keine pauschalen Antworten auf Fragen, welche Schwangerschaft und Geburt betreffen. Auffallend in der Geburtshilfe sei jedoch, so die beiden Leitenden Ärztinnen der Geburtenabteilungen am Kantonsspital Olten und Bürgerspital Solothurn, dass viele mit der Informationsflut und den damit verbundenen Erwartungen nicht zurechtkommen. Ein klärendes Gespräch.
Suzanne Zakher, Kathrin Bütikofer, weshalb sind Sie Frauenärztinnen geworden?
Suzanne Zakher Das Fach Gynäkologie und Geburtshilfe faszinierte mich bereits im Studium. Die Betreuung der Frau von der Teenagerzeit bis ins hohe Alter ist äusserst vielseitig. Wie in vielen anderen Bereichen hat aber auch in unserem Fachgebiet eine Spezialisierung stattgefunden. Mein Schwerpunkt liegt in der Geburtshilfe.
Kathrin Bütikofer Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe bei unseren Tieren schon als Kind Geburten miterlebt. Auch mein erster Kaiserschnitt fand in einem Stall statt, als eine Kuh Probleme beim Kalbern hatte. Im Medizinstudium musste ich mich anschliessend zwischen Pädiatrie, also Kindermedizin, und Gynäkologie entscheiden. Am Ende war es die Frauenheilkunde, wegen eben diesem breiten Spektrum.
Bei wie vielen Geburten waren Sie schon dabei?
Zakher Für die Facharztausbildung musste ich über die Anzahl Geburten noch exakt Buch führen. Aber danach zählt man irgendwann nicht mehr.
Bütikofer Ich weiss es auch nicht. Kommt hinzu, dass wir selten von Beginn bis zum Schluss einer Geburt dabei sind, sondern häufig in ausserordentlichen Situationen hinzugezogen werden.
Ist eine Geburt für Sie immer noch etwas Besonderes?
Beide Ja! Was ist das Besondere?
Bütikofer Was in der Patientin und ihrem Mann vorgeht im Moment der Geburt: Sie werden von einem Augenblick auf den anderen Mutter und Vater.
Zakher Dieser Moment ist absolut faszinierend.
Ein grosses Thema in der Geburtshilfe ist die Zunahme von Kaiserschnitten. Was raten Sie einer Frau, die mit diesem Wunsch zu Ihnen kommt?
Bütikofer Es gibt medizinische Indikationen, bei denen ein Kaiserschnitt die einzig sinnvolle und vor allem sichere Methode ist. Alles andere sind individuelle Entscheide, die man zusammen treffen muss. Je nachdem auch während der Geburt.
Zakher Das Gespräch im Vorfeld ist enorm wichtig. Ich versuche jeweils zu ergründen, weshalb eine Frau einen Kaiserschnitt wünscht. Ich versuche auch herauszuspüren, ob vielleicht ein Informationsmangel zum Wunsch nach einem Kaiserschnitt führt oder ob meine Klientin von anderen Frauen negative Geburtserlebnisse erzählt bekommen hat. Solche Dinge können wir oft relativieren.
Bütikofer Wichtig ist, dass man herausfindet, warum eine Frau nicht natürlich gebären möchte. Oft sind es tatsächlich Ängste, die man nehmen kann. Aber am Ende überreden wir niemanden, die Selbstbestimmung der Frau hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert.
Egal welches Alter: Die Grundfragen bei einer Geburt bleiben dieselben. Suzanne Zakher-Spichtig (links) und Kathrin Bütikofer (rechts).
Stichwort vorgeburtliche Untersuchungen, Pränataldiagnostik. Man hört immer wieder, es gebe zu viele Untersuchungen während der Schwangerschaft.
Zakher Vorgeburtliche Untersuchungen werden häufig damit gleichgesetzt, dass man schaue, ob ein Kind eine Behinderung haben könnte oder nicht. Pränataldiagnostik ist aber viel mehr. Es geht zum Beispiel auch darum, einen Schwangerschaftszucker zu erfassen und zu behandeln. Damit können wir in vielen Fällen verhindern, dass das Kind später selber einen Diabetes oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung entwickelt. Eine Herzfehlbildung zu erkennen oder hoffentlich auszuschliessen ist wichtig, um die Geburt am richtigen Ort zu planen. Vielleicht braucht das Kind nach der Geburt eine Operation und muss deshalb in einer Universitätsklinik zur Welt kommen…
Bütikofer Es ist ein komplexes Thema und schwierig zu vermitteln. Wir sind jedoch dazu verpflichtet, Paare über die möglichen vorgeburtlichen Tests zu informieren.
Aber man kann auch Nein sagen.
Bütikofer Genau. Wenn wir informiert haben und das Paar sich entscheidet, keine vorgeburtlichen Tests zu machen, dann ist das auch ein guter Weg. Ich finde, jede und jeder hat das Recht auf Nicht-Wissen.
Gibt es Eltern, die sich bei Verdacht auf eine Behinderung gegen die Geburt entscheiden?
Zakher Nein. Nicht bei Verdacht. Nur, wenn eine Behinderung bestätigt wurde. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass niemand dazu verpflichtet ist, einen solchen Test durchzuführen und ebenso wenig eine Konsequenz daraus zu ziehen. Aber der Druck, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, ist in unserer Gesellschaft da.
Bütikofer Ich kenne Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt gebracht hatten und deren Umfeld mit Unverständnis reagiert hat.
Das Dilemma können Sie als Ärztinnen nicht lösen.
Zakher Wir werden immer wieder gefragt, wie wir uns entscheiden würden, wenn es unser Kind wäre. Das können und wollen wir nicht. Unsere Aufgabe ist es aber, die Eltern bei ihrer Entscheidung so gut wie möglich zu begleiten und zu unterstützen.
An den Geburtenabteilungen des Kantonsspitals Olten und des Bürgerspitals Solothurn kamen im Jahr 2018 1636 Kinder zur Welt. Das sind im Durchschnitt vier bis fünf Kinder pro Tag.
Alles zum Thema Geburt unter www.solothurnerspitaeler.ch
Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Mütter?
Zakher Momentan ist ein Drittel der Frauen in der Schweiz unter 30, ein Drittel zwischen 30 und 34 und ein Drittel über 34 Jahre alt. Gesamtschweizerisch liegt das Durchschnittsalter bei 32,1 Jahren.
Schafft ein höheres Alter mehr Komplikationen bei Geburten?
Zakher Das muss nicht sein. Aber mit dem Alter nehmen gewisse Krankheiten zu wie etwa Bluthochdruck oder Diabetes, was bei Frauen Mitte Zwanzig eher selten der Fall ist.
Bütikofer Und daraus können Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt entstehen. Auch die Möglichkeit von Mehrlingsgeburten steigt mit dem Alter.
Der Gebärsaal, so hört man, ist in den Händen der Hebammen. Arbeiten Sie gut zusammen?
Zakher (lacht) Ich glaube, das hängt immer stark von den Personen ab – auf beiden Seiten. In meiner Ausbildung erlebte ich noch Chefärzte, die alleine entschieden haben, was bei einer Geburt gemacht werden soll und was nicht. Das ist natürlich passé. Ich schätze die Zusammenarbeit mit den Hebammen sehr.
Bütikofer Hebammen haben Erfahrung in Bereichen, die wir vielleicht etwas weniger haben, da wir in der Regel nicht während des gesamten Geburtsverlaufs dabei sind. Ich denke, was früher zu Problemen führen konnte, war das starke hierarchische Gefälle in der Medizin. Das gibt es heute aber so kaum mehr. Heute werden Entscheidungen gemeinsam getroffen.
Auffallend ist auch, dass gerade in der Gynäkologie der Frauenanteil sehr hoch ist.
Bütikofer Es gibt immer weniger Frauenärzte, das ist so.
Ist das gut oder schlecht?
(beide schmunzeln)
Zakher Ein gemischtes Team ist immer besser. Bei Diskussionen oder Fragestellungen sind Aspekte der anderen Seite immer sehr wertvoll.
Dr. med. Suzanne Zakher-Spichtig ist Leitende Ärztin Gynäkologie und ärztliche Leiterin der
Geburtenabteilung am Bürgerspital Solothurn.
Dr. med. Kathrin Bütikofer ist Leitende Ärztin Gynäkologie und ärztliche Leiterin der Geburtenabteilung am Kantonsspital Olten.
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